Das Geheimnis des Michelangelo: Historischer Roman (German Edition) by Strukul Matteo

Das Geheimnis des Michelangelo: Historischer Roman (German Edition) by Strukul Matteo

Autor:Strukul, Matteo [Strukul, Matteo]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Goldmann Verlag
veröffentlicht: 2020-09-21T00:00:00+00:00


34

Dem Licht verpflichtet

E r nahm den Meißel.

Er schlug mit dem Hammer zu. Der Schlag hatte solche Wucht, dass der ganze Arm zu erzittern schien und die freigesetzte Energie bis in die Schulter hinaufstieg und weiter bis zum Hals und dem Kopf.

Er liebte die Mosesstatue; er hatte sie in der Hoffnung gehauen, dass sie ihm wenigstens ein wenig ähnelte. Doch jetzt hatte er beschlossen, dass es so nicht mehr passte.

Würde er nach vorne schauen, wären die Augen des Propheten auf den Inbegriff des katholischen Aberglaubens gerichtet, jenen Altar mit den Ketten Petri, gleichsam der Eckstein einer weltlichen Macht, von der sich die Kirche noch lange nicht verabschieden wollte. Und er wollte nicht zum Fortbestand einer solchen Schande beitragen. Er wusste jedoch, dass die Statue so aufgestellt werden würde, dass sich genau zu ihrer Linken ein Fenster befände; von dort würde das benötigte Licht einfallen, um den Blick des Propheten zu erleuchten. Ein reines, pures Licht, befreit von aller irdischen Unvollkommenheit.

Deshalb musste er es so einrichten, dass Moses den Blick zur Seite wandte – weg vom Altar hin zur Lichtquelle.

Das war der Grund, aus dem er den Marmor nochmals bearbeitete. Der erste Hammerschlag hatte ihn aus seiner Abgestumpftheit gerissen, in der er, wie eingesponnen in das unendliche Netz aus Lügen, gefangen gewesen war.

Er arbeitete mit großer Entschlossenheit. Er wusste, dass er den Marmor im Bereich des linken Beines nutzen musste, er musste es nach hinten versetzen, damit der Fuß genügend Platz hatte. Eine andere Möglichkeit gab es nicht.

Während er meißelte, flogen die Marmorsplitter nur so umher, und er dachte darüber nach, wie er das Problem des linken Knies lösen sollte, das gegenüber dem rechten weitaus kleiner ausfallen würde. Er bearbeitete den Stein, bis die Tunika das linke Bein von Moses bedeckte. Durch das Raffen des Gewandes schuf er einen großen Faltenwurf. So täuschte er den Blick des Betrachters, und auf diese Weise gelang es ihm, die falschen Proportionen zu kaschieren.

Während sich der Meißel in den Marmor fraß und seine Arme weiterhin unter den Hammerschlägen vibrierten, lief ihm der Schweiß von der Stirn.

Je mehr er jedoch die Haltung der Statue veränderte, desto mehr spürte er, dass es richtig war. Ein Lied schien seine Brust zu weiten, eine Befreiung von all den Zumutungen und Einschränkungen, die ihm über die letzten Jahre von einer scheinheiligen Kirche auferlegt worden waren – die er aufs Entschiedenste hätte zurückweisen sollen.

Er wusste nicht, woher die unbekannte Musik kam, vielleicht vom unbändigen Teil seiner Seele. Vielleicht war er aber auch dabei, verrückt zu werden, oder es lag daran, dass das Einzige, was noch zählte, der verzweifelte Versuch war, den Symbolen ebenso ihre Würde wiederzugeben wie der Figur des Propheten.

Er ging an die Gestaltung des Bartes und ließ die herabwallenden marmornen Strähnen von links nach rechts hinüberfließen; dabei sah es so aus, als hätte sich die rechte Hand in den Bartlocken verfangen. Er blieb locker, aber genau und nahm Stück für Stück die Anpassungen vor. Geradezu liebkosend bearbeitete er den herrlich glänzenden Marmor, schlug etwas weg, wo es nötig war, doch



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